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Über eine AfD-Rede zum Holocaustgedenktag in Coswig bei Dresden

17. März 2025 - 04:56 Uhr

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Die Vereinten Nationen erklärten diesen Tag zum Internationalen Holocaust-Gedenktag. In Coswig, einer Großen Kreisstadt 15 Kilometer nordwestlich von Dresden, organisiert der Stadtrat seit vielen Jahren die Gedenkveranstaltung. Die Coswiger Parteien entscheiden gemeinsam darüber, wer die Rede hält. In den letzten Jahren wurde die AfD jedoch ausgeschlossen und hielt deshalb eigene Gedenkveranstaltungen ab.  
Der folgende Bericht ist eines von inzwischen vielen Beispielen über nie existente Brandmauern in einer sächsischen Kommune und eine fragwürdige Berichterstattung der Sächsischen Zeitung.

Entscheidung im Ältestenrat  

Dieses Jahr beschloss der Ältestenrat der Stadt, dass ein Mitglied der Coswiger AfD die offizielle Rede halten sollte. Diesen Vorschlag unterstützten maßgeblich der Oberbürgermeister Thomas Schubert (parteilos), der CDU-Fraktionsvorsitzende Volkmar Franke und der AfD-Stadtrat Claus Preußel. Thomas Werner-Neubauer von der Grünen-Fraktion enthielt sich zunächst, da es innerhalb des „Bündnis für ein nachhaltiges Coswig“ (BnC) Uneinigkeit gab. Das Bündnis umfasst FDP, Grüne, DSU, Linke, SPD und die Coswiger Bürgerliste (CBL) .1 Später überdachte Werner-Neubauer seine Position und forderte den Oberbürgermeister sowie die CDU auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Obwohl es zu intensiven Diskussionen kam, hielten Schubert und die CDU an der Entscheidung fest.  

Reaktionen auf die Entscheidung  

Thomas Werner-Neubauer verfasste daraufhin eine Stellungnahme, die mehrere Stadträte, darunter auch zwei CDU-Vertreter, unterschrieben. Zudem rief er für 15 Uhr – eine Stunde vor der offiziellen Veranstaltung der Stadt – zu einem stillen Gedenken auf. Oberbürgermeister Schubert kritisierte die Organisatoren des stillen Gedenkens scharf. Er warf ihnen vor mit der Stellungnahme, „einen Keil in den Coswiger Stadtrat“ zu treiben und das Gedenken zu politisieren.2 

Absage der Gedenkveranstaltung  

Am Morgen des 27. Januars, dem Tag der geplanten Rede, versandte der Oberbürgermeister eine interne E-Mail an die Stadträte. Darin teilte er mit, dass die offizielle Gedenkveranstaltung abgesagt werde. Die Entscheidung fiel in Abstimmung mit den verbliebenen Fraktionen der CDU, der AfD und einzelnen Mitgliedern der BnC-Fraktion.3 Anstelle der abgesagten Veranstaltung wurde ein alternatives stilles Gedenken um 16 Uhr angekündigt. Dort sollte keine AfD-Rede gehalten werden. Schubert begründete dies damit, dass er „weitere Konfrontationen“4 vermeiden und „Schaden von der Stadt“  abwenden wolle. Diese Wortwahl lässt darauf schließen, dass die Absage aus taktischen Gründen erfolgte – nicht aufgrund einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Kritik.Das stille Gedenken fand wie geplant statt. Der Coswiger Kirchenvorstand, das BnC-Bündnis, die VOLT-Partei sowie zahlreiche Teilnehmende legten Kränze und Blumen nieder. Schüler:innen des Gymnasiums Coswig trugen ein Gedicht vor. Die Lagergemeinschaft Dachau kritisierte in einem offenen Brief die Coswiger Stadtverwaltung und sprach sich klar gegen eine AfD-Beteiligung am Gedenken aus. Dieser Brief wurde während der Veranstaltung verlesen.5 

Das Gedenken der CDU und AfD

Um 16 Uhr fand das von der CDU angemeldete Gedenken statt. Auffällig war, dass nur wenige CDU-Mitglieder anwesend waren – darunter auch nicht der Fraktionsvorsitzende Franke. Stattdessen stand der Oberbürgermeister umringt von AfD-Stadträten und tauschte mit ihnen freundliche Gesten aus.6  

Obwohl die offizielle Rede abgesagt wurde, verteilte die AfD diese vor Ort als Flugblatt. Gleichzeitig wurde das Gedenken an einen anderen Ort verlegt, wodurch sich die AfD gemeinsam mit wenigen CDU-Vertretern und dem Oberbürgermeister als größte Gruppe inszenieren konnte.Außerdem mussten dort keine Kränze mit klarem Bezug auf die Opfer des Nationalsozialismus geduldet werden. Schubert hatte zuvor erklärt, dass die Stadtverwaltung sich „organisatorisch nicht beteiligen“ werde, um neutral zu bleiben. Trotzdem legte die Verwaltung bei der AfD-nahen Veranstaltung einen Kranz nieder – beim Gedenken um 15 Uhr jedoch nicht 7.  

Medienberichterstattung und Kritik  

Ein weiterer Streitpunkt war die Berichterstattung der Sächsischen Zeitung. Diese erwähnte den Brief der Lagergemeinschaft Dachau zwar in ihrem Artikel, doch der Inhalt blieb unkommentiert. Detaillierter setzte sich hingegen die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel „Protest gegen AfD-Auftritt: Schwerer Missbrauch des Gedenkens“ mit dem Thema auseinander.8
Die Sächsische Zeitung ließ zudem unerwähnt, dass die AfD selbst vom auf dem rechten Auge blinden Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird. Diese Information ist jedoch entscheidend, um die Kritik an einer AfD-Rede im richtigen Kontext zu verstehen.Besonders irreführend war die Berichterstattung zur Rede von AfD-Stadtrat Kokot. Es wurde behauptet, er hätte an Opfergruppen wie Juden, Sinti und Roma sowie politische Gefangene erinnert – diese Gruppen wurden in seiner Rede jedoch gar nicht erwähnt.9 Stattdessen erklärte Kokot, die heutigen „Mittäter“ des Antisemitismus würden in „Hamburg, Berlin-Kreuzberg, Berlin-Neukölln und anderen Großstädten“ leben. Diese Stadtteile gelten in rechtsextremen Kreisen als Chiffren für migrantische Communities. Damit wird Antisemitismus einseitig als Problem von Migrant:innen dargestellt und antisemitische Strukturen in der Mehrheitsgesellschaft sowie innerhalb der AfD verschleiert. Leider wurde bei der Lokalredaktion in Radebeul auf unsere Anfrage einen Leserbrief zur Gegendarstellung zu veröffentlichen, nicht reagiert. Die Redaktion in Dresden versicherte uns, dass man mehrfach unser Anliegen weitergeleitet hätte.

Zusammenarbeit mit der AfD in Coswig beschädigt Erinnerungsarbeit

Die Ereignisse in Coswig zeigen, wie rechtsextreme Kräfte versuchen, das Holocaust-Gedenken für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gleichzeitig wird sichtbar, wie CDU-Vertreter:innen zunehmend bereit sind, mit der AfD zu kooperieren. Diese Zusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf symbolische Gesten, sondern findet auch in konkreten politischen Entscheidungen statt. Bereits im Dezember 2024 stimmte die CDU im Stadtrat von Coswig gemeinsam mit der AfD gegen eine Pflicht zur Installation von Photovoltaikanlagen auf Neubauten an der Sandleite. Oberbürgermeister Schubert verteidigte diese Entscheidung später in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung. Auf die Frage, ob eine solche Kooperation ungewöhnlich sei, erklärte er: „Ich habe noch nie etwas davon gehalten, wenn es gute sachliche Argumente für etwas gibt, warum man nicht miteinander reden soll.“10 Mit dieser Aussage relativiert Schubert das Konzept der „Brandmauer“ gegen die AfD und legitimiert eine Zusammenarbeit, die auf kommunaler Ebene in Sachsen bereits in die Praxis umgesetzt wird.

Die Entwicklungen in Coswig verdeutlichen, dass die Normalisierung der AfD voranschreitet – sei es auf kommunaler Ebene oder im Bundestag. Eine neutrale Berichterstattung darf nicht zur schleichenden Legitimierung rechtsextremer Einflussnahme auf die Erinnerungskultur führen!

Verfasst von Sarah und Ludwig

  1. https://www.saechsische.de/lokales/meissen-lk/coswig/afd-redner-beim-holocaust-gedenktag-in-coswig-streit-ueberschattet-veranstaltung-KMHWSPW2NFHEVISUUZNBQBDGVM.html>
    Die Sächsische Zeitung berichtete im Artikel nur grob. Die Information, dass das ganze im Ältestenrat passierte und die Enthaltung dazu wurde uns im Gespräch vermittelt ↩︎
  2. Zitat OB liegt uns aus einer internen Mail vor ↩︎
  3. https://www.saechsische.de/lokales/meissen-lk/coswig/holocaust-gedenken-in-coswig-politische-kontroversen-und-emotionale-schuelerbeitraege-3NNMECD2C5CPZHKBLKAFX3YKQY.html ↩︎
  4. Zitat OB liegt uns aus einer internen Mail vor ↩︎
  5. https://www.saechsische.de/lokales/meissen-lk/coswig/holocaust-gedenken-in-coswig-politische-kontroversen-und-emotionale-schuelerbeitraege-3NNMECD2C5CPZHKBLKAFX3YKQY.html ↩︎
  6. https://www.youtube.com/watch?v=8kETU1dvGoY ↩︎
  7. https://www.youtube.com/watch?v=8kETU1dvGoY ; siehe Bilder im Text ↩︎
  8. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/lagergemeinschaft-dachau-holocaust-gedenktag-afd-protest-coswig-auschwitz-lux.6DbTtG7XqHdSY5m7dqCbST ↩︎
  9. https://www.saechsische.de/lokales/meissen-lk/coswig/holocaust-gedenken-in-coswig-politische-kontroversen-und-emotionale-schuelerbeitraege-3NNMECD2C5CPZHKBLKAFX3YKQY.html ↩︎
  10. https://www.saechsische.de/lokales/meissen-lk/coswig/oberbuergermeister-thomas-schubert-ueber-coswigs-finanzielle-herausforderungen-und-plaene-fuer-2025-UHRMPH2PFNHIPJNWH6UDGQGRHE.html ↩︎

Veröffentlicht am 17. März 2025 um 04:56 Uhr von Redaktion in Antifa

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